top of page
AutorenbildCM

2021: Auf neue Anfänge und Träume / To new beginnings and new dreams


Silvester 2020: Feuerwerk ist abgesagt. Damit die Kliniken nicht durch die üblichen Kamikazebastler, die meinen, sie müssten sich und ihre 1-2 Gehirnzellen zerfasert in den Orbit schiessen, zusätzlich belastet werden. Diese Maßnahme ist grundsätzlich sinnvoll, sowohl gerade wie quer gedacht. Wir werden uns also ruhig und sozial unauffällig, dabei bewusst planlos - denn was weiß man in diesen Zeiten schon genau?- von den 20 in die 21 rübertrinken.

Ein paar gehorsame Narren werden in der Silvesternacht in Köln dem Aufruf von höchster Stelle folgen und artig neben einem Lichtschalter ihrer Wahl Position beziehen, um diesen Punkt 0:00 Uhr in Ermangelung eines Feuerwerkes 5 Minuten lang hospitalistisch ein- und ausschalten. Flashlichtartig werden dann die Fenster beleuchtet, die nach Vorschlag von höchster Stelle dekoriert sein sollen mit Buntbastelwerk und Malereien. Der kölsche Humor hat schon so einiges vorgebracht: * Die Armlänge Abstand , * Das Glöckchen in der Handtasche zur Abschreckung von Taschendieben, nun also * Flakfeuer der Stubenleuchte zu Neujahr. Wer's nicht glaubt: Der offizielle Hashtag lautet #silvesterfenster .


Ein Feuerwerk hat für mich seit Kindertagen etwas Magisches. Meine Begeisterung mit laut bis ehrfürchtig gequietschten "Aah"s und "Ooh"s ist auch nach all den Jahren ungebrochen. Mit ein, zwei Verflossenen hatte es Silvesternächte ohne Feuerwerk gegeben, totale Flops von zerdehnter Langeweile. Beziehungen, die letzten Endes zurecht in der Bedeutungslosigkeit verpufften und nicht groß in die Erinnerungsgeschichte eingingen.

Silvester steht für mich seit jeher für fröhliche Anarchie nach dem Traditionsfest, Erleichterung über den Kehraus des Alten und Vorfreude auf neue Anfänge, neues Glück.


Weihnachten in meinem Elternhaus, so feierlich und so festlich, war streng durchritualisiert vom Singen bis zum Plätzchenteig, an Silvester jedoch wurde ordentlich die Sau rausgelassen. In der Vorweihnachtszeit durfte ich morgens immer die Brötchentüte nebst Zeitung hochholen; die Tüte war kostbar und wurde gesammelt. Für den Silvestermorgen. Mein Vater setzte einen Hut auf, zündete sich eine Havana an, und ich brachte meine Tütensammlung. Es wurde durchgezählt und gerecht geteilt. Mein Vater stimmte "Heute Kinder wird's was geben" an und laut singend zogen wir hinaus auf den Flur, spazierten auf und ab, bliesen die Tüten auf und zerknallten sie. Es war ein Heidenspaß. Mein Mutter seufzte ihr erstes "Oh mein Gott" des Tages. Über den Tag verteilt kam viel unangemeldeter Kurzbesuch: Kegelbrüder, Schützenverein, Skatbrüder, Patienten. Zumeist Männer, wenn ich es recht überdenke. Die Frauen dazu waren damals wohl alle in der Küche. Es war ein durchgängiges gutlauntes Krakeel, ein Kommen und Gehen, beide Wohnzimmer rauchgeschwängert. Frau Schwarze, unsere Zugehfrau war eingetroffen und half meiner Mutter auf zwei weiß gedeckten Tischen im Flur Alkoholisches mit Häppchen zu arrangieren und das Silvestermenu vorzubereiten. Ich erinnere mich daran, dass die Tischdecken bis auf den Boden reichten und ich einen Großteil des Tages unbemerkt unter dem Tisch zubrachte und dachte, so muss es bei der Schneekönigin in einer Schneehöhle sein. Ich hockte zufrieden mit Puppen und Plüschhund Gustav, um mich herum aufgekratztes Stimmengewirr. Hin und wieder tauchte ich kurz auf, um mir unbemerkt eines der abgestellten leeren Gläser zu schnappen und mit dem Finger die Neige daraus aufzustippen. Punsch, Kalte Ente, Eckes Kirsch, Sherry, Eierlikör. Es schmeckte seltsam, nicht wirklich gut, aber es gehörte irgendwie dazu, und alles war höchst aufregend.


Irgendwann verschwanden die Kurzbesucher, Tische wurden abgeräumt, neue eingedeckt; jemand hatte mich eingeschlafen unter dem Tisch entdeckt und auf mein Bett gebracht samt Puppen und Gustav. Etwas Ruhe kehrte ein, vor dem Fenster war es bläulich dunkel, man zog sich um. Meine Mutter schimmerte und duftete nach Chanel Nr. 5. Ich fror in irgendetwas Neuem und duftete nach nichts. Die Geladenen trafen ein. Alles ging wieder von vorn los, nur mit noch mehr Feier-Energie. Draußen knallten die ersten Raketen.


In den ersten Jahren waren meine Eltern nur Zuschauer vom Fenster aus. An einem denkwürdigen Silvester standen sie mit Geladenen, mit Sektglas und Haltung hinter den Wohnzimmerfenstern und bewerteten das Feuerwerk. Für Kurschmanns von schräg gegenüber sei das schon der dritte Rohrkrepierer. Aber dafür hätten Hokamps diesmal ja richtig aufgefahren.

"Alles Proleten da draußen auf der Straße", tönte der Skatbruder meines Vater. "Da kann man sich nicht mit gemein machen. Alles Proleten!" Ich guckte hoch zu meinem Vater. "Papi, was sind Proleten?" Er zog die Augenbrauen hoch und überlegte an einer Antwort.

"Mit denen darfst du nicht spielen", sagte der Skatbruder energisch. Mein Vater räusperte sich. "Ja, sowas in der Art."

Der Skatbruder hatte als Gastgeschenk ein umfangreiches Tischfeuerwerk mitgebracht, dass er nach dem Essen bereits auf dem großen Tisch aufgestellt hatte, wo nun Platten mit Canapés und Mitternachtshäppchen arrangiert waren. Sechs große blausilberne Pappröhren neben Sektkühler und dem Réchaud mit Kartoffelcremesuppe. "Jetzt aber flugs!" tönte der Skatbruder und entzündete schnell hintereinander alle sechs Röhren. Es knisterte und zischte bei der einen, dann nacheinander bei den anderen. Plötzlich gab es einen dumpfen lauten Knall. Die erste explodierte: Ein dichter Stoß an hochwirbelnden Papier- und Glitzerteilchen schoß in die Höhe gefolgt von einem leicht rosa Feinstaubschweif im Abgang. "Huch!!" kreischten die Frauen. Ich juchzte vor Freude. Der nächste Knall, die nächste rosa Dampfwolke versprühte Sternchenpartikel, Röhre auf Röhre folgte. "Oh mein Gott!!"kreischten die Frauen. Der Skatbruder fluchte. Die Männer gafften sprachlos, ich konnte mich vor Wonne und Jubel kaum einkriegen. Die Luft war ein bunter Sternenwirbel, der sich langsam senkte. Auf Tafel und Gläser, Getränke und offenen Suppentopf, auf Forellenmousse und Canapés, gefüllte Eihälften und mit Krabben gefüllte Chicoreeschiffchen. Auf die Sternchen legte sich allmählich rosa Puderstaub. "Oh wie wunderschön" flüsterte ich andächtig. "******", fluchte der Skatbruder mit hochrotem Kopf. "Ich bekomme Kopfschmerzen", sagte meine Mutter schwach. "Von der Luft." Mein Vater räusperte sich. "Nun, das sollten wir jetzt nicht überbewerten. Ich denke, wir gehen jetzt erst mal alle an die frische Luft."


Wenig später standen wir alle draußen auf der Straße und guckten schweigend in die funkelnden Sternenblumen des Feuerwerks. Es roch rauchig, leise fiel Schnee. Der Nachbarsjunge Friedhelm lief auf mich zu. "Willst du auch mal eine anzünden? Wir haben noch fünf!" Ich sah fragend hoch zu meinem Vater. Ich erinnere mich selbst nicht an meine Antwort, aber sie sollte noch viele Jahre im Familienkreis immer wieder an Silvester auf Tapet gebracht werden: "Papi, darf ich mit dem Proleten jetzt spielen?"

An jedem folgendem Silvester fiel dann in aufgeräumter Runde die Einleitung: "Wisst Ihr noch/Hab ich Euch eigentlich jemals erzählt wie Claire als sie fünf war zu dem Jungen von nebenan sagte..."

Seufz. Oh Erde, tue dich auf und verschlinge mich.


Dieses Silvester wird leise sein, aber deswegen nicht weniger schön. Und doch: Das Feuerwerk werde ich vermissen.

Ein Vorsatz für 2021 könnte lauten: Reg dich nicht zu sehr auf.


95 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Ostern

Comments


bottom of page